Pressemitteilung
26.02.2019 Geplante Schulgesetzänderung für die inklusive Bildung schließt weiterhin Kinder aus – Widerspruch zu EU-Recht und zur UN Kinderrechtskonvention |
Am Mittwoch berät der Bildungsausschuss des Landtages in einer Öffentlichen Anhörung den Entwurf einer Novelle zum Schulgesetz Mecklenburg-Vorpommern. Aus dem Flüchtlingsbereich sind keine Sachverständigen geladen, obwohl Geflüchtete von einer vorgesehenen Regelung explizit betroffen sind.
Das Schulgesetz MV soll die Inklusion ganz neu regeln und ist dennoch kein Gesetz für die „Schule für alle“, weil es systematisch Kinder ausschließt.
Der Flüchtlingsrat fordert, sollte die Regelung vom Plenum wie vorgeschlagen beschlossen werden, die Kontrolle, ob die Regelung mit höherwertigem Recht im Einklang steht oder ihm widerspricht. Normenkontrollklagen können neben Betroffenen und Behörden auch Fraktionen führen.
Zum Gegenstand selbst:
Es gibt im Entwurf eine Änderung, die die bestehenden Lücken zementiert und die unzureichende Lösung, die es in der Erstaufnahmeeinrichtung (EAE) Stern Buchholz bei Schwerin gibt, in die EAE Nostorf Horst bei Boizenburg überträgt.
Bislang werden Kinder im schulpflichtigen Alter, die mit ihren Eltern in den Erstaufnahmeeinrichtungen Stern Buchholz bei Schwerin und Nostorf-Horst bei Boizenburg ggf. auch bis zu zwei Jahre lang wohnen müssen, nicht nach Lehrplan und nicht durch ausgebildete Lehrer*innen beschult. Ehrenamtliche übernehmen dort dankenswerterweise eine Art „Schulersatz“, dessen Besuch aber freiwillig ist.
Widerspruch in der Rechtsauffassung:
Hintergrund ist die Rechtsauffassung des Landes, dass nur Kinder die „ihren gewöhnlichen Aufenthalt“ in Mecklenburg-Vorpommern haben, nach Schulgesetz der Schulpflicht unterliegen. Dabei ist aber nach Auffassung des Flüchtlingsrats fraglich, ob Kinder, die bis zu zwei Jahre in einer Erstaufnahmeeinrichtung wohnen müssen[1] nicht bereits einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ im Land haben. Die entsprechende Formulierung im Asylbewerberleistungsgesetz wird beispielsweise umgehend nach Antragstellung dahingehend ausgelegt.
Widerspruch zur UN-Kinderrechtskonvention:
Unabhängig von der Schulpflicht kennt das Recht auch das Recht auf Bildung, wie es in der UN-Kinderrechtskonvention[2] verankert ist. Die BRD hat diese Konvention bereits 1992 ratifiziert und die zunächst erklärten Vorbehalte 2010 offiziell zurückgenommen. Damit gelten Kinderrechte für jedes Kind in Deutschland – unabhängig vom Aufenthaltsstatus und Wohnort.
Wörtlich heißt es im nun vorliegenden Gesetzentwurf:
„(4) Für Kinder im grundsätzlich schulpflichtigen Alter, die keinen ständigen Aufenthaltsort in Mecklenburg-Vorpommern haben und sich in Erstaufnahmeeinrichtungen befinden, werden durch die Träger der Einrichtungen pädagogische Angebote, welche primär sprachlich ausgerichtet sind und die Vorbildung und die individuelle Leistungsfähigkeit berücksichtigen, zur Verfügung gestellt.“
Das ist nach Auffassung des Flüchtlingsrats M-V weiterhin unzureichend, weil es weder die Durchsetzung des Rechts auf Bildung in einer Regelschule von staatlich examinierten Lehrer*innen nach altersgerechten Lehrplänen noch die Durchsetzung der Schulpflicht regelt. Im Text der Kinderrechtskonvention steht außerdem „das Recht des Kindes“ und nicht „das Recht des deutschen Kindes“ oder „das Recht des Kindes mit gewöhnlichem Aufenthalt“. Gemeint sind alle Kinder.
Gerade Kindern, die ohnehin durch Krieg und Verfolgung oder durch zusammenbrechende Staaten bislang keinerlei Bildungschancen hatten, muss das Recht auf Bildung gewährt werden. Nachholende Bildung wird in jedem Fall teurer – sei es deswegen, weil Lernen leichter fällt, je jünger ein Mensch ist, sei es deswegen, weil selbst bei späterer Rückkehr in das Herkunftsland Bildung mitgenommen werden kann. Es ist nicht förderlich für die Integration, dass Kinder monate- und sogar jahrelang nicht beschult werden.
Widerspruch zur EU-Aufnahmerichtlinie:
Es gibt eine weitere Rechtsgrundlage, nach der Schulpflicht besteht. Das ist die EU-Aufnahmerichtlinie in der Neufassung von 2013[3]. Artikel 14 (1) dieser Richtlinie besagt, dass die Mitgliedstaaten „minderjährigen Kindern von Antragstellern und minderjährigen Antragstellern in ähnlicher Weise wie den eigenen Staatsangehörigen den Zugang zum Bildungssystem“ gestatten,
„solange keine Ausweisungsmaßnahme gegen sie selbst oder ihre Eltern vollstreckt wird. Der Unterricht kann in Unterbringungszentren erfolgen. Die betreffenden Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Zugang auf das öffentliche Bildungssystem beschränkt bleiben muss.
Die Mitgliedstaaten dürfen eine weiterführende Bildung nicht mit der alleinigen Begründung verweigern, dass die Volljährigkeit erreicht wurde.“
Artikel 14 (2) der Aufnahmerichtlinie besagt:
„Der Zugang zum Bildungssystem darf nicht um mehr als drei Monate, nachdem ein Antrag auf internationalen Schutz von einem Minderjährigen oder in seinem Namen gestellt wurde, verzögert werden.“
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[1] § 47 (1b) AsylG (Asylgesetz): Aufenthalt in Aufnahmeeinrichtungen
[2] Artikel 28 der UN-KRK: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere a) den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen;…“
[3] RICHTLINIE 2013/33/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung)