Pressemitteilung
29.08.2018
Da die Anerkennung der angeborenen Würde und der gleichen und unveräußerlichen Rechte aller Mitglieder der Gemeinschaft der Menschen die Grundlage von Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden in der Welt bildet[1], hat nach unserer Auffassung jeder Mensch das Recht in eine Gesellschaft aufgenommen zu werden und zugleich die Verpflichtung sich in diese einzubringen.
Flüchtlingsrat spricht bei der öffentlichen Anhörung zur sozialen Integration von Migrantinnen und Migranten im Sozialausschuss des Landtages.
Integration ist eine Daueraufgabe und erst endgültig erreicht, wenn vollständig gleiche Rechte und Pflichten bestehen. Dabei ist sie von individuellen und strukturellen Faktoren abhängig, wie beispielsweise mitgebrachten Voraussetzungen oder aufenthaltsrechtlichen Sonderbehandlungen.
Folgende Fragen sind wesentlich: War die Zuwanderung vorbereitet oder unvorbereitet? Handelt es sich um Arbeitsmigration, Familienzusammenführung oder Flucht? Wie ist die Unterbringung und grundlegende Versorgung? Einem zum Studium mit Visum zugewanderten Studenten müssen beispielsweise andere Angebote gemacht werden als einer Hals über Kopf geflüchteten Journalistin aus dem Iran. Auch ist der Ablauf der Integration schon deswegen individuell, weil Menschen unterschiedlich schnell lernen. Umso wichtiger ist, dass alle gleiche Rechte und Chancen erhalten.
Ein Beispiel aus der Stellungnahme ist der Umgang mit Kindern. Nicht für alle Kinder und Jugendlichen der nach Deutschland geflohenen Menschen gelten die gleichen Rechte wie für Deutsche. Derzeit werden Kinder im Schüleralter, die mit ihren Eltern in den Erstaufnahmeeinrichtungen Stern Buchholz bei Schwerin und Nostorf-Horst bei Boizenburg wohnen müssen, nicht nach Lehrplan und nicht durch ausgebildete Lehrer*innen beschult. Ehrenamtliche übernehmen dort dankenswerterweise eine Art „Schulersatz“. Hintergrund ist eine Rechtsauffassung des Landes, dass nur Kinder die „ihren gewöhnlichen Aufenthalt“ in Mecklenburg-Vorpommern haben, nach Schulgesetz der Schulpflicht unterliegen.
Aber unabhängig von der Schulpflicht kennt das Recht auch das Recht auf Bildung, wie es in der UN-Kinderrechtskonvention[2] verankert ist. Die BRD hat diese Konvention bereits 1992 ratifiziert und die zunächst erklärten Vorbehalte 2010 offiziell zurückgenommen. Damit gelten Kinderrechte für jedes Kind in Deutschland – unabhängig vom Aufenthaltsstatus und Wohnort.
Im Text der Kinderrechtskonvention steht „das Recht des Kindes“ und nicht „das Recht des deutschen Kindes“ oder „das Recht des Kindes mit gewöhnlichem Aufenthalt“. Gerade Kindern, die ohnehin durch Krieg und Verfolgung oder durch zusammenbrechende Staaten bislang keinerlei Bildungschancen hatten, muss das Recht auf Bildung gewährt werden. Nachholende Bildung wird immer teurer – sei es deswegen, weil Lernen leichter fällt, je jünger ein Mensch ist, sei es deswegen, weil selbst bei späterer Rückkehr in das Herkunftsland Bildung mitgenommen werden kann. Es ist nicht förderlich für die Integration, dass Kinder monate- und sogar jahrelang nicht beschult werden.
Es gibt eine weitere Rechtsgrundlage, nach der Schulpflicht besteht. Das ist die EU-Aufnahmerichtlinie in der Neufassung von 2013[3]. Artikel 14 (1) dieser Richtlinie besagt, dass die Mitgliedstaaten „minderjährigen Kindern von Antragstellern und minderjährigen Antragstellern in ähnlicher Weise wie den eigenen Staatsangehörigen den Zugang zum Bildungssystem“ gestatten, „solange keine Ausweisungsmaßnahme gegen sie selbst oder ihre Eltern vollstreckt wird. Der Unterricht kann in Unterbringungszentren erfolgen. Die betreffenden Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Zugang auf das öffentliche Bildungssystem beschränkt bleiben muss.
Die Mitgliedstaaten dürfen eine weiterführende Bildung nicht mit der alleinigen Begründung verweigern, dass die Volljährigkeit erreicht wurde.“
Artikel 14 (2) besagt: Der Zugang zum Bildungssystem darf nicht um mehr als drei Monate, nachdem ein Antrag auf internationalen Schutz von einem Minderjährigen oder in seinem Namen gestellt wurde, verzögert werden.“
Der Flüchtlingsrat M-V e.V. schließt sich folgenden Ausführungen an: „Es ist wichtig, dass gerade die minderjährigen Flüchtlinge, die einen nicht unwesentlichen Teil ausmachen, möglichst früh beschult werden, damit sie, erstens, eine sinnvolle Beschäftigung finden, zweitens, keine Zeit vergeuden und, drittens, weil sie so – völlig unabhängig von ihren schulischen Leistungen- allein durch die Tatsache, dass sie regelmäßig eine Schule besuchen, bereits einen ganz wichtigen Schritt hin zur gelingenden Integration tun.“[4]
Integration ist ein Prozess, der alle Lebensbereiche eines Menschen und die gesamte Gesellschaft betrifft. Die Stellungnahme des Flüchtlingsrates behandelt aus diesem Grunde viele Handlungsfelder wie Sprache, Bildung, Ausbildung, Arbeit, Wohnen … usw. Sie steht zum Download auf der Webseite des Flüchtlingsrats zur Verfügung bzw. hängt der Email an.
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[1] Satz 1 der Präambel der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (Resolution 217 A (III) vom 10.12.1948)
[2] Artikel 28 der UN-KRK: „Die Vertragsstaaten erkennen das Recht des Kindes auf Bildung an um die Verwirklichung dieses Rechts auf der Grundlage der Chancengleichheit fortschreitend zu erreichen, werden sie insbesondere a) den Besuch der Grundschule für alle zur Pflicht und unentgeltlich machen;…“ (Der ganze Text findet sich in der Stellungnahme.)
[3] RICHTLINIE 2013/33/EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES
vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Neufassung)
[4] Kronenberg, Volker: „Integration vor Ort. Herausforderungen. Erfahrungen, Perspektiven“, Handreichung zur politischen Bildung Bd.24, Konrad Adenauer Stiftung, Berlin 2017, S. 92