Pressemitteilung, 18.06.2018
Flüchtlingsrat beklagt Trickserei mit überlangen Aufenthaltsverfahren: Das lässt Härtefallkommission zur Farce verkommen.
Erneut ist dem Flüchtlingsrat bekannt geworden, dass ein Mensch abgeschoben wurde, der bei der Härtefallkommission des Landes einen Antrag gestellt hatte. Dabei sieht die Härtefallkommissionslandesverordnung – HFKLVO M-V in § 3 (2) vor, dass von so genannten aufenthaltsbeendeten Maßnahmen abzusehen sei, sobald ein Antrag gestellt wurde. Ein Antrag kann jedoch nur zugelassen werden, wenn zuvor ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthalts abgelehnt wurde. Alle anderen Möglichkeiten, einen Aufenthaltstitel zu erlangen, müssen ausgeschöpft sein.
Die Aussetzung der Abschiebung wegen eines laufenden Härtefallverfahrens konnte deshalb nicht greifen, weil zuvor der Antrag auf Aufenthalt von der kommunalen Ausländerbehörde monatelang nicht bearbeitet und nicht beschieden wurde, so dass der Antrag bei der Geschäftsstelle der Härtefallkommission im Innenministerium nicht zugelassen wurde.
Dieses Verfahren kritisiert der Flüchtlingsrat M-V e.V. als Trickserei: „Der uns jetzt bekanntgewordene Fall läuft seit Monaten. Im März hatte Herr Anisimov[1] zeitgleich mit einem Antrag bei der Härtefallkommission des Landes bei der Ausländerbehörde vor Ort einen Aufenthaltsantrag und gestellt. Danach gab es keine Rückmeldung, keinen Bescheid, keine Bewilligung, keine Ablehnung, keine Nachforderung von Unterlagen. Das halten wir für ein absichtsvolles Verzögern. Die Behördenmitarbeiter wussten ganz genau, welche Konsequenzen das für Herrn Anisimov und seine Familie haben würde. Schließlich hatte der Anwalt der Behörde mitgeteilt, dass sein Mandant ein Härtefallverfahren anstrebte.“, erklärt Ulrike Seemann-Katz, Vorsitzende des Flüchtlingsrat M-V e.V. Das Anschreiben liegt dem Flüchtlingsrat M-V e.V. vor.
Vergleichbare Fälle gab es bereits im vergangenen Jahr häufiger, wie der Bericht der Härtefallkommission für 2017 zeigt. Nach Diskussionen in der Härtefallkommission sollte diese Praxis eigentlich abgestellt sein, so der Vorsitzende der Härtefallkommission auf einer Veranstaltung des Flüchtlingsrates Anfang April 2018.
Seemann-Katz: „In den Jahren zuvor, als sich noch wesentlich weniger Ausreisepflichtige in MV aufhielten, wurden mehr Fälle entschieden als 2017. Lediglich zwei (!) der 29 Vorschläge aus 2017 (fünf Personen) wurden im Berichtszeitraum durch Beratung und Beschlussfassung in der Härtefallkommission abschließend behandelt. Hinzu kamen drei unerledigte Fälle aus dem Jahr 2016. Drei der insgesamt fünf Fälle wurden abgelehnt. Von den zwei „erfolgreichen“ Anträgen wurde einer durch den Staatssekretärsvorbehalt nicht bewilligt, so dass eine einzige Person im Jahr 2017 als Härtefall in Mecklenburg-Vorpommern bleiben durfte.“
Die Härtefallkommission des Landes gibt es seit dem Jahr 2005. Damals hatte der Bund das Aufenthaltsgesetz dahingehend erweitert, dass besondere Härten vermieden werden sollten. Alle Bundesländer verfügen seitdem über ein entsprechendes Gremium.
Herr Anisimov floh 2014 vor dem Krieg aus der Ukraine nach Deutschland. Er hatte zunächst erfolglos ein Asylverfahren durchgeführt, ihm war dann die Arbeitserlaubnis und die Ausbildungserlaubnis entzogen worden. Eine Ausbildungsduldung sollte nicht erteilt werden. Herr Anisimov hatte als Friseur gearbeitet und seinen Lebensunterhalt vollständig selbst bestritten. Sein Arbeitgeber, ein Friseursalon[2] in Neubrandenburg, hätte ihn gerne weiter beschäftigt. Herr Anisimov soll ein guter Mitarbeiter gewesen sein, sehr gut integriert und mit sehr guten Deutschkenntnissen. Weil er als Christ den Dienst an der Waffe verweigerte, konnte und wollte er nicht zurück in die Ukraine, um dort ggf. auf seine Landsleute schießen zu müssen. Nun ist Herr Anisimov am vergangenen Freitag (08.06.) in die Ukraine abgeschoben worden. Seine Frau und seine Tochter sind noch in Deutschland. Seine Tochter ist in Deutschland geboren; sie kennt nur Deutschland. Ihre Ausreise soll durch die Trennung erzwungen werden.
[1] Der Nordkurier berichtet am 12.06.2018. Der Schriftwechsel des Anwalts mit den Behörden liegt dem Flüchtlingsrat vor.
[2] Die Telefonnummer des Salons ist beim Flüchtlingsrat ebenso erhältlich wie der Kontakt zum Pastor der Kirchengemeinde, deren aktives Gemeindemitglied Herr Anisimov war.