Pressemitteilung
09.10.2021
Die Bundesregierung hat die Abschiebungen nach Afghanistan ausgesetzt. Zugleich kommen derzeit nicht nur Ortskräfte nach Deutschland. Es kommen auch Menschenrechtsaktivist:innen, Journalist:innen, Mitarbeiter:innen deutscher Auslandsorganisationen, z.B. der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GIZ, sowie deren Angehörige und viele andere Menschen aus Afghanistan, die in Deutschland nach der Machtübernahme der Taliban Schutz suchen. Diese Personen müssen Asylanträge stellen, wenn ihnen kein Aufenthaltstitel zugesichert wurde oder wenn sie ohne Visum eingereist sind. Teils werden sie trotz Aufnahmezusage in Asylverfahren gedrängt.
Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern e.V. fordert nun die Zulassung aller dieser Personen zu Sprachkursen, da sie ohnehin länger in Deutschland verbleiben werden, weil die Entscheidungen über Asylanträge von Afghaninnen und Afghanen „rückpriorisiert“ wurden. Das heißt, Asylverfahren von Afghaninnen und Afghanen werden nachrangig entschieden bzw. liegen gelassen, bis es neue Entscheidungsgrundsätze gibt. Es ist nicht absehbar, wann dies der Fall sein wird.
Bislang erhalten Afghaninnen und Afghanen nur Zugang zu Integrationskursen, wenn sie nach einem Asylverfahren bleiben dürfen oder mit einer Aufenthaltserlaubnis zu einem anderen Zweck Zugang zu diesen Kursen erhalten. Anerkannte Ortskräfte, die mit einem Visum einreisen und umgehend einen Aufenthaltstitel erlangen, dürfen also sofort Deutsch lernen. Alle anderen – und das ist die Mehrzahl – jedoch nicht.
Asylsuchende erhalten nur Zugang, wenn ihnen eine „gute Bleibeperspektive“ attestiert wird, wenn im Vorjahr mehr als 50% der Asylantragsteller:innen aus ihrem Herkunftsland einen Schutzstatus erhielten. Das BAMF weist nun darauf hin, dass asylsuchende Afghan:innen weiterhin nicht zu Integrationskursen zugelassen werden. Bis zum Entscheidungsstopp habe diese Quote bei 38% gelegen; damit sei die nötige Schutzquote von 50% nicht erreicht. Die Rückpriorisierung wiederum bewirkt nun, dass sich die erreichte Schutzquote verringern wird, weil sich das Verhältnis positiver Entscheidungen zu gestellten Anträgen noch verschlechtern wird. Zugleich bleiben die Menschen aber wegen langer Asylverfahren und faktisch ausgesetzter Abschiebungen in Deutschland. Das ist aus Sicht des Flüchtlingsrats ein Widerspruch im Zulassungssystem.
Der Flüchtlingsrat M-V e.V fordert aus diesem Grund die Zulassungsvoraussetzungen für Integrations- und Sprachkurse zu ändern. Die Schutzquote ist ein ohnehin fragwürdiges Kriterium, da formale Entscheidungen (jährlich 25 – 35% der Anträge) in die Berechnung einfließen, obwohl diese Anträge gar nicht inhaltlich geprüft wurden. Außerdem bleiben regelmäßig mehr Menschen in Deutschland, als Schutz erhalten. Zuletzt wurden 2020 knapp 60% der angefochtenen Entscheidungen afghanischer Schutzsuchender durch die Verwaltungsgerichte aufgehoben, 2021 lag diese Quote sogar bei 76 % (ausgenommen wurden bei dieser Betrachtung die sonstigen Verfahrenserledigungen bspw. durch Klagerücknahme).*
Hinweis: Derzeit erfüllen nur Asylsuchende aus Syrien, Eritrea und Somalia die geforderte Schutzquote und erhalten damit von Anfang an Zugang zu Integrations- und Sprachkursen. Wer vor dem 31.08.2019 einen Asylantrag stellte, hat übrigens ebenfalls Zugang, egal woher er oder sie kommt.
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*Zitat: Karina Purenkov und Mailin Loock in Refugee Law Clinic Journal, 18.09.2021