Offener Brief – Weiterhin qualitativ hochwertige Betreuung der Flüchtlinge in der Hansestadt Rostock

6 qm, USK

Der Flüchtlingsrat M-V e.V. unterstützt den Offenen Brief des Arbeitskreises Kritische Sozialarbeit Rostock und auch die Forderung, dass unser Mitglied Ökohaus e.V. weiterhin seine gute Arbeit in der Betreuung Geflüchteter leisten soll.

Offener Brief:

Der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Rostock fordert eine weiterhin qualitativ hochwertige Betreuung der Flüchtlinge in der Hansestadt Rostock Der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit ist ein Kreis aus Personen, die im Sozialen Bereich tätig sind und praktische Erfahrungen, gesellschaftliche Bedingungen und kommunalpolitische Entwicklungen in einen kritischen öffentlichen Diskurs bringen möchten. Deswegen sehen wir es als notwendig an, auf drohende Verschlechterung im sozialen Bereich aufmerksam zu machen.

Nach 16 Jahren wird die Betreibung der Gemeinschaftsunterkunft für Asylbewerber in der Satower Straße neu ausgeschrieben. Durch den Zuzug und die Durchreise von tausenden geflüchteten Menschen in den Jahren 2015/16 stand die Hansestadt vor einer neuen und außergewöhnlichen Herausforderung. Wie die Stadtverwaltung, Sozialsenator Steffen Bockhahn, Finanzsenator Chris Müller sowie die Integrationsbeauftragte Stefanie Nelles mehrfach öffentlich betonen, konnte dies nur durch eine extrem flexible und bedarfsorientierte soziale Trägerlandschaft und beispiellose Unterstützung der Zivilgesellschaft angemessen bewältigt werden.

Der Verein Ökohaus e.V. reagierte sprichwörtlich über Nacht und übernahm spontan Verantwortung für die zwingend notwendige Betreuung der Menschen in der Notunterkunft Marienehe, im Hotel Garni sowie in der Feuerwache See. Seit Dezember 2015 betreibt der Verein auch die Gemeinschaftsunterkunft Bonhoefferstrasse 16 in Reutershagen. Besonders hervorzuheben ist dabei die extrem flexible personelle Umstrukturierung des Vereins durch die Erweiterung des bis dato sechsköpfigen Sozialarbeiterteams auf zwischenzeitlich bis zu 16 MitarbeiterInnen, um über lange Zeiträume bis zu 1000 geflüchtete Menschen betreuen zu können.

Die Neuausschreibung der Trägerschaft dieser Einrichtung erfolgt nach formalen Richtlinien der Verwaltung, die gegen das Prinzip qualitativer Sozialer Arbeit sprechen und durch ökonomische Zwänge gerechtfertigt werden. Sozialarbeit ist geprägt von Beziehungsarbeit und Bedürfnisorientierung. Grundlage hierfür sind Vertrauen und Kontinuität.

In dem sensiblen Handlungsfeld der Sozialen Arbeit mit Geflüchteten und Asylsuchenden sind außerdem spezifische Kenntnisse und Erfahrungen wie z.B. interkulturelle Kompetenz und einschlägige Rechtskenntnis erforderlich, wie auch eine Einbindung in regionale Netzwerke. Dazu wird professionelles Personal, Zeit und die dazugehörige Infrastruktur benötigt, die in diesem Fall durch den Verein Ökohaus e.V. seit nunmehr 20 Jahren erfolgreich und nachhaltig ausgebaut wurde. Durch die Zusammenarbeit mit Partnern vor Ort und die Mobilisierung ehrenamtlicher Kräfte werden Begegnungen mit den Menschen vor Ort und Teilhabe an gesellschaftlichen Geschehen ermöglicht.

Das Engagement des Vereins Ökohaus e.V. geht weit über eine „Regelversorgung“ hinaus und steht für eine lebendige und ehrgeizige Umsetzung von Grund- und Menschenrechten, insbesondere dem im Artikel 16a (GG) verbrieften Grundrecht auf Asyl. In Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden leistete Ökohaus e.V. einen wesentlichen Beitrag, um die Lebensbedingungen der geflüchteten Menschen in der Hansestadt Rostock und im Land Mecklenburg Vorpommern nachhaltig zu verbessern (Bargeld statt Gutscheine, dezentrale Unterbringung, fachliche Standards in der Betreuung). Gewürdigt wurde diese Arbeitsweise durch die Verleihung der Siegmann-Medaille der Hansestadt Rostock im Jahr 2014 sowie zuletzt im Dezember 2016 durch die Integrationsmedaille der Bundesregierung.

Soziale Arbeit mit geflüchteten Menschen erfordert ein hohes Maß an Sensibilität und bewegt sich in einem engen rechtlichen Rahmen. Asylsuchende sind vielseitig in ihren (Menschen-) Rechten beschnitten, beispielsweise in ihrer Bewegungsfreiheit oder in der Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen. Somit wird in diesem Arbeitsfeld die Rolle der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession besonders deutlich. Die Mitarbeiter des Vereins nehmen diese Verantwortung in ihrer täglichen Arbeit besonders ernst.

Die Hansestadt Rostock kann mit der Entscheidung über die Neuausschreibung ein Zeichen setzen für die qualitative Soziale Arbeit und Übernahme von politischer und historischer Verantwortung. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, Strukturen zur Integration und Toleranz zu schaffen und zu fördern. Jedoch sollte es sich gerade Rostock, wo 1992 das Pogrom von Lichtenhagen und 2004 der Mord an Mehmet Turgut durch den NSU stattfand, besonders zur Aufgabe machen, Strukturen zu schaffen, die Rassismus und Ausgrenzung verhindern und ein Leben in Menschenwürde und Wertschätzung ermöglichen.

Dass Soziale Arbeit als Ware nach Preiskriterien gehandelt wird, zeigt generell, aber insbesondere in diesem sensiblen Arbeitsfeld die Gefahr und Verantwortungslosigkeit der Ökonomisierung von Sozialer Arbeit. Es darf eben nicht darum gehen, einfach den günstigsten Anbieter mit diesen verantwortungsvollen Aufgaben zu betrauen. Die Entscheidungsträger der Hansestadt Rostock haben hier die Möglichkeit, sich gegen eine Ökonomisierung des Sozialen Bereiches, zugunsten einer nachhaltigen Entwicklung – für die Betroffenen als auch für die gesamte Gesellschaft – zu entscheiden.

Der Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit fordert die Verantwortlichen in Politik und Verwaltung auf, im Sinne der geflüchteten Menschen zu entscheiden und Ökohaus e.V. weiterhin mit der Verantwortung für die Gemeinschaftsunterkunft Satower Straße zu beauftragen.

Dorothea Engelmann und Thomas Krieger

Arbeitskreis Kritische Soziale Arbeit Rostock

aks.rostock[at]riseup.net

www.kritischesozialearbeit.de