Presseerklärung der Flüchtlingsräte und Pro Asyl

Schwerin, 6. Oktober 2015

Anlässlich ihrer gemeinsamen Konferenz am 5. und 6. Oktober in Schwerin fordern die Landesflüchtlingsräte von Bund und Ländern eine liberale Flüchtlingsaufnahme, ein Bleiberecht und nachhaltige Integration von Flüchtlingen.

1. Die große Herausforderung muss angenommen werden
Die Beschlüsse aus Brüssel und Berlin stoßen bei den Flüchtlingsräten und Pro Asyl auf scharfe Kritik. Die knapp zusammengefasste Begründung ist: Die Zwangsunterbringung von Flüchtlingen bis zu sechs Monaten in Erstaufnahmeeinrichtungen verhindert Integration und wird zu menschenrechtswidrigen Zuständen auf Dauer führen. Die geplanten Einschränkungen bei den Sozialleistungen verstoßen gegen die Verfassung. Die Einstufung eines Staates wie Kosovo, in dem 5000 KFOR-Soldaten stationiert sind, als sicheres Herkunftsland ist absurd. Die Forderungen nach Zuzugsbegrenzung sowie die Maßnahmen der EU einer strengeren Kontrolle der Außengrenzen werden unterlaufen werden und zwingen Menschen weiterhin auf lebensgefährliche Wege.

2. Zur Gewährleistung einer adäquaten Unterbringung von Flüchtlingen sind folgende Maßnahmen erforderlich:
Wir brauchen einen Generalplan zur Wohnbauförderung!
Vage Absichtserklärungen helfen nicht. Was Bundes- und Landesregierung hierzu bislang vorgelegt haben ist wolkig und unkonkret. Die auf der Ministerpräsidentenkonferenz vereinbarte Aufstockung der Kompensationsmittel um 500 Mio Euro ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir brauchen konkrete neue und erweiterte Programme zur Wohnbauförderung, eine Neuauflage des sozialen Wohnungsbaus, wie es ihn in den 50er Jahren gegeben hat. Die Fördermittel des Bundes laufen bis 2019 aus, jeden Tag fallen mehr Wohnungen aus der Bindung und nur wenige kommen hinzu. Nicht nur für Flüchtlinge, auch für Obdachlose, Hartz IV – Empfänger_innen, Studierende, Bewohnerinnen, Frauenhäuser, entlassene Häftlinge usw. wird es immer schwerer, eine Wohnung zu bekommen. Wenn wir nicht auf Jahre hinaus ein Land voller Container- und Barackenlager werden wollen, mit allen Folgen und einem Kampf um die Ressource Wohnung, der die inländischen Modernisierungsverlierer auf den Plan ruft, müssen wir jetzt handeln!
Die Unterbringung muss flexibilisiert werden!
Der aktuelle, auf eine „gleichmäßige Belastung“ orientierte Verteilungsschlüssel muss überarbeitet werden. Kommunen, die Flüchtlinge über die Quote hinaus aufnehmen wollen, sollten zusätzliche Anreize durch das Land erhalten. Es ist nicht zielführend, dass in manchen Kommunen Wohnraum frei ist, weil nach der quotierten Verteilung keine weiteren Flüchtlinge aufgenommen werden müssen, während andere Kommunen Container aufbauen müssen.
Auszugsmanagement in Gemeinschaftsunterkünften
Es ist enorm wichtig, dass die Kommunen in Kooperation mit dem Land nachhaltige Aufnahmekonzepte entwickeln, die den hier ankommenden Menschen dauerhafte Perspektiven bieten. Die Kommunen leisten vielerorts bereits engagierte Arbeit, um die Flüchtlinge gut unterzubringen. Das begrüßen wir. Doch es gibt auch deutliche Defizite bei der weiteren Planung der Unterbringung in Wohnungen.
Weg mit den alten Zöpfen einer auf die Ausgrenzung in Lagern setzenden Flüchtlingspolitik!
Diese Politik ist gescheitert und sollte nicht auf dem Umweg über eine Balkandebatte wieder in die Flüchtlingspolitik Einzug halten, im Gegenteil: Der §53 AsylVerfG, der die Unterbringung von Flüchtlingen in Lagern als Soll-Vorschrift vorgibt, muss abgeschafft werden. Unterstützung der Wohnungssuche durch die Regeldienste, Regelung der Bedarfe für Unterkunft und Verpflegung entsprechend § 22 SGB II auch für Flüchtlinge
Notunterbringungen sind keine Dauerlösung!
Die Unterbringung Asylsuchender in Notunterkünften kann keine dauerhafte Lösung sein. Zu diesem Zweck gilt es eine rasche Verteilung der Betroffenen in geeigneten Wohnraum herbeizuführen. Dabei sollte auch über eine Beschlagnahmung von leerstehenden Wohnraum diskutiert werden.
Selbsthilfekräfte der Flüchtlinge nutzen und stärken!
Verzicht auf Wohnsitzauflagen und behördliche Behinderungen der Integration, Ermöglichung von eigenaktiver Wohnungs- und Arbeitssuche ohne Beschränkungen. Modifizierung des Verteilerschlüssels.

3. Abläufe im Asylverfahren entbürokratisieren und beschleunigen
• Das BAMF muss in den Stand versetzt werden, innerhalb von drei Monaten über Asylanträge zu entscheiden. Die Registrierung, Ausstellung von Ausweispapieren etc. muss sofort erfolgen. Eine Verlängerung des Aufenthalts in der Erstaufnahme verzögert nicht nur die Integrationsprozesse, sondern belastet die physische und psychische Verfassung der leidgeplagten Flüchtlingen in völlig überfüllten Aufnahmelagern in unerträglicher Weise!
• Sachleistungen, verkürzte Duldungsbescheinigungen und andere Schikanen sind ein Rückfall in überwunden geglaubte Abschreckungslogiken. Will die Bundesregierung die rund 10.000 geduldeten Flüchtlinge aus dem Irak und Afghanistan darüber zur Ausreise bewegen?
• Aufenthaltsverbote und Wiedereinreisesperren belasten das Bundesamt zusätzlich und müssen gestrichen werden.
• Trotz 250.000 unerledigten Verfahren hält das BAMF weiterhin an Dublinverfahren fest. Diese Verfahren sind kostenintensiv, aufwändig, und sie beanspruchen erhebliche Ressourcen und Kompetenzen, die besser zur inhaltlichen Prüfung von Asylanträgen genutzt werden sollten

4. Flüchtlinge aus den Balkan-Staaten
Die Betroffenen dürfen keinen Stereotypien unterworfen werden. Jeder Fall muss individuell geprüft und das Vorliegen einer kumulativen Verfolgung ernsthaft ins Auge gefasst werden. Die von der Regierungskoalition darüber hinaus beschlossene Ermöglichung von Beschäftigungsverhältnissen für Angehörige aus den Balkanstaaten ist zu begrüßen!
Die Einteilung/Dichotomie „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge muss beendet werden. Diese Rhetorik und Diffamierung breiter Flüchtlingsgruppen heizt die rechtspopulistische Stimmungsmache an und verbietet sich besonders angesichts der vermehrten Angriffe auf Flüchtlinge. Die Stellung eines Asylantrags ist immer zuerst die Ausübung eines Rechts und in keinem Fall ein Asylmissbrauch.

5. Schule und Ausbildung
Flüchtlingskinder müssen eine angemessene Beschulung in den Regelschulen ab dem ersten Tag der Einreise erhalten. Dies funktioniert in weiten Teilen nicht. Die Organisation der Bildung und Qualifizierung ist von zentraler Bedeutung für die weitere Zukunft dieser Kinder.

6. Sprachkurse für alle Flüchtlinge
Die Integrationskurse müssen endlich für alle Asylsuchenden und geduldeten Flüchtlinge geöffnet werden. Es widerspricht der viel beschworenen Willkommenskultur, Asylsuchenden Zugänge zum Spracherwerb und damit zu einem wichtigen Integrationsmittel zu versperren. Gut gemeinte Programme gehen ins Leere und drohen zu scheitern, wenn eine Sprachförderung nicht gewährleistet wird. Die Bereitstellung zusätzlicher Erwachsenenbildungsmittel für Sprachkurse sowie die Unterstützung ehrenamtlicher Sprachvermittlung, wie sie das Land jetzt beschlossen hat, ist hilfreich, ersetzt aber nicht das Regelangebot!

7. Konsistente Beschäftigungsförderung!
Zur Ermöglichung einer Beschäftigung von Flüchtlingen fordern wir die Abschaffung der Wartezeit, der Arbeitsmarktprüfung und des ausländerrechtlichen Arbeitsverbotes für Geduldete Außerdem muss eine systematische Einbeziehung in die Beschäftigungsförderung erfolgen. Für Asylsuchende muss ab dem ersten Tag ein Zugang zu BAFöG und BAB ermöglicht werden. Das Asylbewerberleistungsgesetz sollte endlich abgeschafft bzw. der Leistungsbezug nach AsylbLG auf die Dauer der Unterbringung in der Erstaufnahme beschränkt werden. Danach sollten alle Asylsuchenden in das SGB II übergeleitet werden!

8. Vereinheitlichung der medizinischen Standards
Die diskriminierende Beschränkung ärztlicher Leistungen in den ersten 15 Monaten sollte abgeschafft werden. Leistungseinschränkungen nach Status sind entwürdigend und mit unserer Verfassung nicht vereinbar Die Überleitung der Leistungsansprüche in SGB II oder SGB XII ist deshalb der einzige und richtige Weg. Jede_r sollte eine Chipkarte nach dem Modell in NRW erhalten.

9. Ausbau der Flüchtlingssozialarbeit
Der Betreuungsschlüssel der Flüchtlingssozialarbeit muss bundesweit gesenkt werden und an die neuen Anforderungen angepasst werden. Besonders in den ländlichen Regionen muss eine adäquate soziale Betreuung gewährleistet werden. In Ergänzung dazu gilt es auch ehrenamtliche Strukturen, die aktiv und konkret vor Ort dafür sorgen, dass Flüchtlinge in der Gesellschaft ankommen, stärker als bislang zu unterstützten.

10. Schutz von Asylsuchenden und deren Unterstützer_innen vor rechtsmotivierten Übergriffen
In den letzten Monaten kam es bundesweit zu einem massiven Anstieg rassistischer Übergriffe gegen Asylsuchende und deren Unterstützer_innenstrukturen. Gleichzeitig steigt die Zahl fremdenfeindlicher Demonstrationen in unmittelbarer Nähe von Asylsuchendenunterkünften. Die Vorfälle in Tröglitz, Freital oder Heidenau führen die öffentliche Debatte an, werden als regionale Einzelfälle hervorgehoben und verkennen dabei die flächendeckende Verankerung rechtsmotivierter Mobilisierungspotenziale. Das Aufgreifen rechtspopulistischer Forderungen durch die etablierten Parteien befördert letztlich die Zunahme fremdenfeindlicher Aktivitäten und stabilisiert diese in weiten Teilen und muss aufhören. Zum Schutz Asylsuchender und deren Unterstützer_innen vor rassistischer Gewalt fordern wir eine klare Positionierung der kommunalen Akteur_innen sowie der Landes- und Bundespolitiker_innen gegen rechtspopulistische Hetzkampagnen. Des Weiteren fordern wir eine konsequente strafrechtliche Verfolgung rassistischer Gewalt sowie ein Demonstrationsverbot menschenverachtender und fremdenfeindlicher Gruppierungen, insbesondere in der unmittelbaren Umgebung von Asylsuchendenunterkünften.