Pressemitteilung
03.05.2021
Persönliche Daten von Bürgerinnen und Bürgern zu sammeln und sie dann in einer zentralen Datei zusammenzuführen, ist in Deutschland eigentlich ein Tabu. Das hat nicht zuletzt die Diskussion über eine zentrale Erfassung von anonymisierten Daten zu Corona-Infektionen gezeigt. Anders verhält es sich jedoch im Falle von Geflüchteten: Geht es nach der Bundesregierung, scheint der Datenschutz für Menschen ohne deutschen Pass nicht zu zählen. PRO ASYL, die Flüchtlingsräte und der Verein Digitalcourage fordern: Datenschutz muss auch für Geflüchtete sichergestellt werden. Der derzeit verhandelte Gesetzentwurf zum Ausländerzentralregister muss dringend überarbeitet werden.
Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters will die Bundesregierung zahlreiche Informationen über Geflüchtete zentralisiert erfassen und staatlichen Stellen zugänglich machen – inklusive der Erkenntnisse aus den Asylverfahren. Dazu zählen auch intime Details wie sexuelle Orientierung, Religionszugehörigkeit, politische Ansichten und Fluchtgeschichten. Das Ausländerzentralregister (AZR) kann schon jetzt von rund 16.000 Einrichtungen eingesehen werden. Dazu gehören unter anderem Sozialämter und Ausländerbehörden, Zolldienststellen und Jobcenter, Polizeibehörden, Staatsanwaltschaften sowie deutsche Auslandsvertretungen. Mehr als 150.000 Einzelnutzer*innen können laut Bundesinnenministerium auf das AZR als Informationsquelle zugreifen, ein großer Teil davon soll auch auf die Asylakten und ähnliches Zugriff erhalten. „Das ist eine brandgefährliche Entwicklung, die dem Missbrauch Tür und Tor öffnet. Zu viele greifen unkontrolliert auf Daten zu, es besteht die Gefahr, dass selbst die Herkunftsstaaten Informationen erhalten“, warnt Andrea Kothen, Referentin bei PRO ASYL, die eine ausführliche Analyse zum Gesetzesvorhaben verfasst hat.
Dass derartige Befürchtungen von missbräuchlicher Verwendung dieser Daten nicht aus der Luft gegriffen sind, zeigt der Fall eines ägyptischen Flüchtlings, den das ARD-Magazin FAKT aufgedeckt hat: Dessen AZR-Daten wurden von einem Mitarbeiter des Jobcenters abgerufen, um den Betroffenen Angst zu machen und ihn zu maßregeln. War ein solcher Zugriff auf die Daten Geflüchteter bisher einem begrenzten Personenkreis möglich, soll er künftig massiv ausgeweitet werden.
Gesetzentwurf missachtet das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung
In der neuen zentralen Dokumentenablage sollen beispielsweise die Asylbescheide des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die Entscheidungen der Gerichte sowie Identitätsdokumente automatisiert abrufbar sein. Eine nachvollziehbare Erklärung, worin das erhebliche öffentliche Interesse bestehen soll, sensible Informationen etwa über den Gesundheitszustand eines Geflüchteten einer ganzen Behördenriege zugänglich zu machen, bleibt die Bundesregierung schuldig.
Aber auch Mitarbeiter*innen der Ausländerbehörden könnten intime Daten – beispielsweise zur sexuellen Orientierung oder politischen Haltung von Betroffenen – der Asylakte entnehmen. Im Rahmen einer Kooperation bei der Passbeschaffung könnten diese persönlichen Informationen dann in die Hände der Behörden des Herkunftsstaates gelangen, ob missbräuchlich oder unbeabsichtigt. So droht nicht nur den Geflüchteten selbst Verfolgung, sondern auch ihren Angehörigen in der Heimat.
Diese Preisgabe sehr persönlicher Informationen an eine Vielzahl von Behörden greift erheblich in das Recht der Betroffenen auf den Schutz des Privatlebens (Art. 8 EMRK, Art.17 UN-Zivilpakt) und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 GG) ein.
Datenschutzrechtlich ist der Gesetzentwurf vor allem deshalb inakzeptabel, weil wirksame Möglichkeiten der Betroffenen, die Kontrolle über ihre Daten zu wahren, nicht im Gesetzentwurf verankert sind. Auf die Rechtswidrigkeit der Regelungen haben deshalb das Netzwerk Datenschutzexpertise mit dem ehemaligen Schleswig-Holsteinischen Datenschutzbeauftragten Thilo Weichert, der Paritätische Wohlfahrtsverband und der Caritasverband hingewiesen. Der Paritätische Wohlfahrtsverband sieht etwa einen Verstoß gegen die Datenschutzgrundverordnung und somit einen „Verstoß gegen höherrangiges Europarecht“.
Erklärtes Ziel des Gesetzentwurfs ist die Verwaltungsvereinfachung und –modernisierung. Das politische Ziel des Gesetzentwurfs steht aber schon im Koalitionsvertrag von 2018, in dem die Bundesregierung ihren Willen erklärt, das Ausländerzentralregister zu „ertüchtigen, um (…) allen relevanten Behörden unkomplizierten Zugriff zu ermöglichen und es auch zur besseren Steuerung der Rückführung und freiwilligen Ausreise einsetzen zu können“.
In den kommenden Wochen soll der Gesetzentwurf „zur Weiterentwicklung des Ausländerzentralregisters“ im Bundestag diskutiert und verabschiedet werden. PRO ASYL, die Flüchtlingsräte und der Verein Digitalcourage rufen die Bundestagsabgeordneten dazu auf, diesen Gesetzentwurf abzulehnen. Denn welche Informationsflüsse im Zuge künftiger „Abschiebungskooperation“ mit den Herkunftsstaaten für legitim gehalten werden, ist nicht absehbar.
Aktueller Hinweis:
Am Montag den 3.5., 13.00 Uhr, findet eine Expertenanhörung zum Thema statt. Als Sachverständige geladen sind Dr. Thilo Weichert, Netzwerk Datenschutzexpertise, Kiel; Prof. Dr. Thomas Petri, Bayerischer Landesbeauftragte für den Datenschutz, München; Bernward Ostrop, Deutscher Caritasverband Berlin; Dagmar Dahmen, Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf; Heinrich Ringkamp Bundesverwaltungsamt, Köln; sowie RaVG Dr. Philipp Wittmann Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Mannheim. Die Sitzung wird live übertragen unter www.bundestag.de
Weiterführende Informationen:
Kontakt:
PRO ASYL: Tel.: 069 – 2423 1430; presse@proasyl.de
i.A. der Flüchtlingsräte: Ulrike Seemann-Katz, Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern, Tel. 0385 – 581 57 90; naf@fluechtlingsrat-mv.