Steigende Zahlen – sinkende Akzeptanz Steigende Zahlen – Freude über steigendes Engagement

Pressemitteilung, Flüchtlingsrat M-V e.V., 02.09.2013

Zur Lage von Flüchtlingen in Mecklenburg-Vorpommern aus Sicht des Landesflüchtlingsrates MV e. V.

Menschenwürdige Aufnahme und Integration statt Ausgrenzung und Stigmatisierung
Angesichts vermehrter rassistischer Proteste auch in unserem Bundesland warnt der Flüchtlingsrat MV vor ei-ner rassistisch aufgeladenen Debatte auf dem Rücken von Schutzsuchenden. „Das Problem sind nicht die Flücht-linge, die Probleme heißen Rassismus, Stigmatisierung und Ausgrenzung “, so Ulrike Seemann-Katz, Vorsitzende des Flüchtlingsrats MV e.V.. „Zugleich ist aber auch das Engagement für die Flüchtlinge vor Ort gestiegen. Das gilt es ebenso zu beachten. Das freut uns selbstverständlich.“

Angesichts der Debatten um Asylbewerberunterkünfte fordert der Flüchtlingsrat MV e.V., Flüchtlingen endlich die ausgrenzende und stigmatisierende Unterbringung in Sammelunterkünften zu ersparen. Die staatliche Aus-grenzung durch gesonderte Unterbringung, Arbeitsverbote, Residenzpflicht usw. verhindert die Integration von Schutzsuchenden und leistet rassistischen Vorurteilen Vorschub. Der Flüchtlingsrat erwartet neben fairen und zügigen Asylverfahren ein Integrationskonzept für Flüchtlinge, das die Unterbringung in Wohnungen, den Zu-gang zu Deutsch- und Integrationskursen vorsieht.

Von alarmierenden Zahlen zu sprechen ist „Zündeln“
Anlässlich der Veröffentlichung der Asylantragsstatistik hat Bundesinnenminister Friedrich am 14. 08. 2013 die Zahl der Asylanträge gegenüber den Medien als „alarmierend“ bezeichnet. „Alarmierend ist nicht die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland, alarmierend ist die Situation der Flüchtlinge vor den Toren Europas“, so der Flüchtlingsrat MV. Er warnt davor, mit den gestiegenen Flüchtlingszahlen im Wahlkampf Ängste und Ressenti-ments zu schüren. Die derzeitigen Zahlen sind weit entfernt von denen aus dem Anfang der 1990-iger Jahre.

Situation in den Hauptherkunftsländern
Ein Blick auf die Hauptherkunftsländer belegt, warum die bisherige, auf Abschreckung ausgelegte Asylpolitik nicht funktionieren kann. Die Asylsuchenden haben größtenteils nachvollziehbare und massive Fluchtgründe. In den nordkaukasischen Republiken der Russischen Föderation (bundes- und landesweit Platz 1) kommt es fort-laufend zu schweren Menschenrechtsverletzungen. In Syrien (bundesweit Platz 2) ist ein Ende des Bürgerkriegs, vor dem rund ein Drittel der syrischen Bevölkerung auf der Flucht ist, nicht in Sicht. Das Gegenteil ist der Fall. Aus Afghanistan (Platz 3) und dem Irak (Platz 6) erreichen uns täglich Nachrichten über Anschläge und Kämpfe. In Serbien (Platz 4) sind Roma und Angehörige anderer Minderheiten umfassender rassistischer Diskriminierung ausgesetzt, die häufig so weitreichend ist, dass den Betroffenen der Zugang zu sauberen Trinkwasser, zu medizi-nischer Versorgung, Wohnungen, Arbeit und Bildung verwehrt wird. Aus dem Iran (Platz 5) fliehen fortlaufend Menschen vor Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen durch das islamistische Regime.

Hohe Anerkennungsquote
Ein großer Teil der Asylsuchenden wird auch seitens des zuständigen Bundesamtes für Migration und Flüchtlin-ge (BAMF) als schutzbedürftig anerkannt: Bei den im ersten Halbjahr 2013 durch das BAMF getroffenen Fallent-scheidungen wurde bei über 40 Prozent ein Schutzstatus zuerkannt. Da ein Teil der Asylverfahren von Asylsu-chenden mit hohen Anerkennungschancen derzeit auf die lange Bank geschoben werden, ist davon auszuge-hen, dass fast jeder zweite Asylsuchende in Deutschland Schutz erhält. Bereits die Tatsache, dass ein Großteil der Schutzsuchenden bleiben wird, legt die Schlussfolgerung nahe: Integration vom ersten Tag an ist sinnvoll – für die Flüchtlinge wie die deutsche Gesellschaft.

Unterkunftsproblematik ist hausgemacht – und lösbar
Die derzeitige Unterkunftsproblematik geht nicht einfach auf die gestiegenen Asylbewerberzahlen, sondern auf die Schließungen der Unterkünfte zurück, die sich bei der Planung der Aufnahmekapazitäten am historischen Tiefststand der Flüchtlingszahlen um das Jahr 2007 (19.164 Asylerstanträge) orientiert hatten. Auf den Anstieg der Flüchtlingszahlen haben Bund, Länder und Kommunen zu spät reagiert. Der „Unterbringungsnotstand“ ist hausgemacht – und damit eine lösbare Herausforderung.
Der Flüchtlingsrat begrüßt, dass Kommunen vermehrt dezentral in Mietwohnungen unterbringen. Das ist nicht nur gut für ein gegenseitiges, nachbarschaftliches Kennenlernen der Bürger_innnen und der Flüchtlinge. Es entfällt auch die „Zielscheibe Asylheim“ und stellt eine Maßnahme gegen den kommunalen Wohnungsleerstand in Mecklenburg-Vorpommern dar.
Der Flüchtlingsrat fordert dabei jedoch, zu beachten, dass Flüchtlinge nur dort untergebracht werden sollten, wo es einen Zugang zum Öffentlichen Personennahverkehr, zu Beratung und zu Gesundheitsdienstleistungen gibt.
Der Flüchtlingsrat begrüßt die seit Anfang des Jahres in Mecklenburg-Vorpommern eingeführten Regelungen zur Betreuung dezentral untergebrachter Flüchtlinge, kritisiert jedoch den seiner Ansicht nach zu niedrigen Personalschlüssel von einer halben Stelle je 48 dezentral Untergebrachte und die schleppende Umsetzung.

Asylverfahren dauern zu lange
Die Asylverfahren dauern immer länger. Da viele Asylsuchenden damit länger in Asylbewerberunterkünften bleiben müssen, verschärft dies das Unterkunftsproblem. Verantwortlich für die lange Dauer vieler Asylverfahren ist das Bundesinnenministerium. Als übergeordnete Behörde des BAMF muss es dafür sorgen, dass ausreichend Personal zur Verfügung steht, damit Asylgesuche fair und zeitnah geprüft werden können. Die durch-schnittliche Verfahrensdauer ist in den letzten drei Quartalen von 3,6 Monaten auf neun Monate gestiegen. Da Asylgesuche aus Herkunftsstaaten mit angeblich geringen Anerkennungschancen in Schnellverfahren priorisiert werden, wird deshalb die Prüfung von Asylgesuchen mit relativ hohen Chancen auf Anerkennung immer wieder verschoben – mit Ausnahme der Asylgesuche aus Syrien, über die zeitnah entschieden wird (4,6 Monate im zweiten Quartal). Die durchschnittliche Asylverfahrensdauer bei anderen Herkunftsstaaten mit hohen Anerken-nungschancen lag dagegen im zweiten Quartal 2013 bei weit über einem Jahr (Iran: 13,5 Monate; Afghanistan: 15,2 Monate; Pakistan: 15,9 Monate; Somalia: 18,8 Monate). Dies ist für die Betroffenen unerträglich.

Flüchtlingsrat mahnt Umsetzung des einstimmigen Bundestagsbeschlusses zur Aufnahme von syrischen Familienangehörigen an
Der Deutsche Bundestag hat am 28. Juni 2013 einstimmig beschlossen, dass die Bundesländer Aufnahmeanord-nungen erlassen können, die den Familiennachzug zu hier lebenden Syrer_innen ermöglichen. Da das Land Mecklenburg-Vorpommern im Gegensatz zu beispielsweise Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein dazu bislang nichts geregelt hat, hat der Flüchtlingsrat MV e.V. die Umsetzung in einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten Erwin Sellering angemahnt.

Der Landtag wird auf seiner Sitzung in dieser Woche das Thema ebenso behandeln. Der Flüchtlingsrat fordert alle Fraktionen auf, dem Antrag zuzustimmen und den Menschen zu helfen, die verzweifelt versuchen ihre An-gehörigen nach Deutschland zu holen. Es handelt sich oft um auf dem Fluchtweg getrennte Familien, die sich verloren haben oder aber um erwachsene Kinder. Da es derzeit für sie keine legale Möglichkeit gibt, nach Deutschland einzureisen, nehmen einige Flüchtlinge daher den illegalen und gefährlichen Weg über Schlepper, um zu ihren Angehörigen zu kommen. Zur Vermeidung familiärer Tragödien ist es unbedingt nötig, eine großzü-gige Regelung zu erlassen, die auch einen weiteren Familienbegriff beinhaltet wie beispielsweise die Ermögli-chung des Nachzugs erwachsener Kinder oder von Großeltern.